Wie mich ein Satz zum Auswanderer machte

Wie mich ein Satz zum Auswanderer machte

Von Marius Jost


Da stand ich. Zehn Augenpaare musterten mich.

 

Der Coach fragte: “Was heißt das Unwettersymbol auf Deinem Flipchart?” Ich: “Es steht für meine Unzufriedenheit … mit meiner Situation. Und wie wir miteinander in Deutschland umgehen. Ich will auswandern!”

 

Bedeutungsvoll blickte der Coach in die Runde: “Wieder ein Beispiel wo man sieht: Das Macht Er Nie. Seht nur, die Körpersprache. Und wie er es verbal ausgedrückt hat!”

 

Es war passiert.

 

Zum ersten Mal hatte ich vor einer Gruppe gesagt, dass ich Deutschland verlassen will. Und jetzt erklärt mir postwendend der Seminarleiter in meiner Coach-Ausbildung, dass ich das nie tun werde. Er ergänze noch Details. Bestimmte Worte, die ich benutzt habe, und was genau daran verraten würde, dass ich das nie in die Tat umsetzen würde.

 

Das. War. Er.

 

Der Tropfen, der bei mir das Fass zum Überlaufen brachte. Wäre es ein Film gewesen, die Kamera hätte nun voll auf mein Gesicht gezoomt: Ich kochte innerlich.

 

Den Coach konnte ich nicht mehr hören. Entweder ich würde ihn jetzt sofort an die Wand klatschen und ihn fragen, ob er noch alle Tassen im Schrank hat, oder endlich für das einstehen, was ich eigentlich im Leben will.

 

Ich entschied mich für Option zwei – und wusste plötzlich, dass ich nach Portugal gehen würde.

 

Aber wie?

 

Ich hatte keine Ahnung.

 

“Marius, bist Du noch präsent?”, fragte mich der Ausbilder.

 

“Zu meiner Schande, nein”, sagte ich mit einem Schmunzeln. Die Gruppe lachte.

Die Übung war vorbei, und ich war auf meinem neuen Weg: Nach draußen. Ich tat noch in dieser Nacht, was ich immer aufgeschoben hatte:

  • Ich plante, wie viel Gewicht ich für einen Flug einkaufen musste, wenn ich meine Studio-Ausstattung nicht zurücklassen wollte. Das Geld fehlte mir für den Flug allerdings noch.
  • Ich informierte meine drei besten Freunde, dass ich ins Ausland gehen werde. Einer glaubte mir nicht.
  • Ich listete für mich auf, was ich vor meine Ausreise noch klären wollte.


Das reichte erstmal aus.

In dieser Nacht schief ich so gut wie noch nie.

Die Wut hatte mein Leben neu geschrieben.

Ich wusste, was ich wollte, und warum.

Einige Monate später hatte ich auch das Wie geklärt und das Geld geradeso beisammen. Am 31.12.2020, als der WDR titelte: “Laschet sieht keinen Spielraum für Corona-Lockerungen” saß ich ich im fast leeren Flugzeug, Flugnummer TP 1693 nach Portugal, Madeira.




Niemand traute sich damals, zu fliegen. Es war wahrscheinlich der gesündeste Flug meines Lebens – so viel frische Luft und Platz gab es noch nie im Flugzeug. Andere hätten sich gerade zu der Zeit nicht getraut, in ein Flugzeug zu steigen, oder in der Krisenzeit ein neues Leben zu starten.

Für mich lief aber nur noch ein Plan ab, der seit Monaten fertig in meiner Schublade lag.

Und Du? Was hat Dich so getroffen, dass du nie wieder derselbe warst? / Was könnte noch zu einem positiven Wendepunkt in Deinem Leben werden?